"Teller, Teller, Du musst wandern ....

... von dem einen Ort zum andern ... " *


Meine Eltern haben am 4. Juli 1953 in Berlin geheiratet. 

Es waren wirre Zeiten, ein paar Wochen zuvor war in der DDR der Volksaufstand des 17. Juni von den Soldaten des sowjetischen Bruderstaates niedergeschlagen worden. Dieser Aufstand hatte sich schon in den Monaten davor angekündigt, mein Vater hatte seine Arbeit im Osten der Stadt verloren, weil er nicht in der DDR leben wollte. Meine Mutter war Ostberlinerin und DDR-Bürgerin, die ihr Land verließ wie so viele andere Menschen bis 1961 die Grenzen zu Mauer und Todesstreifen wurden. 

Meine Mutter hatte mir immer erzählt, dass am Tag der Hochzeit sie nicht wussten, ob meine Großeltern würden kommen können, aber sie waren da und sie brachten Tochter und Schwiegersohn ein Geschenk mit, dass meine Eltern über bald 70 Jahre und sechs Umzüge begleitete. 

Wer meine Eltern gekannt hat, wird sich darüber wundern, dass es dieses eine Stück solange in ihrem Besitz überstanden hat, haben sie sich doch immer leicht getrennt von Dingen. Sie waren Profi-Aufräumer, bevor es schick wurde und man damit Coach werden und sich mit Büchern seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. 




Das sich Trennen von Dingen ist mir immer sehr schwer gefallen, seitdem meine Mutter meine Puppen an die Nachbarskinder gegeben hatte, als ich etwa zehn Jahre alt war, weil "Du spielst doch damit nicht mehr". 

Als ich im April diesen Jahres die Wohnung meiner Eltern ausräumen musste, weil mein Vater im November 2020 verstorben war und Mutti sich allein nicht mehr versorgen konnte und ins Pflegeheim kam, war ich es wieder einmal, die sich von einigen Stücken nicht trennen konnte. 


Neben vielen Fotos von früher blieb auch das Haushaltsbuch der ersten Jahre vor dem wegschmeißen verschont. Wer weiß denn heute noch, was im Jahr 1960 ein Kühlschrank kostete und dass so ein Ding auch damals schon kurz nach dem Ende der Garantie Ärger machen konnte. 
 


Der kitschige Teller, den das Land Niedersachsen zur Goldenen Hochzeit verschenkte, liegt jetzt in einer Kiste wie die Orden von der Bundeswehr und die Flagge vom Corona konformen einsamen Soldatenbegräbnis vom Papa im letzten Jahr, ebenso der Stifterbrief über 2.500 DM für die Dresdner Frauenkirche, die der Bankberater meinen Eltern "aus dem Kreuz geleiert" hatte. 



Über den alten Teller wollte ich mich eigentlich nur informieren im Internet. Anhand des Stempels ließ sich so einiges finden. Neben Angeboten auf Ebay stieß ich auf den Verein der Ilmenauer Porzellantradition, der die Erinnerung an die 2002 endgültig geschlossene Porzellanmanufaktur bewahren will. Homepage des Vereins.


"Stücke gesucht" steht auf der Homepage. Ohne groß nachzudenken, schrieb ich eine Mail an die Kontaktadresse, von der aus prompt reagiert wurde. Auch bekam ich den Hinweis auf die Produktionsjahre 1948 bis 1956 anhand des aufgedruckten Stempels. 


Und so geht heute der Teller gut und hoffentlich sicher genug verpackt auf die Reise nach Thüringen. Natürlich mit dem üblichen Trennungsschmerz. 







* Das alte Kinderlied zum Spiel heißt eigentlich "Taler, Taler, du musst wandern ....








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